Besonderheiten bei älteren CED-Patient*innen

Wie in anderen Indikationen altern auf der einen Seite Patient*innen, die schon lange mit ihrer Diagnose leben, auf der anderen Seite steigt aber auch die Zahl derer, die erst im höheren Alter diagnostiziert werden. Auf letztere Gruppe entfallen ca. 10–15% der neuen CED-Diagnosen, so Dr. med. Roland Eisele.1

Aber sind alte Patient*innen automatisch „andere“, schwierigere Patient*innen? So pauschal könne man dies nicht beantworten, betont Dr. Eisele. Dennoch gebe es Themen, die im Alter häufiger relevant seien. So nennt Dr. Eisele beispielsweise eine reduzierte Leistungsfähigkeit durch Muskelschwund, Medikamente oder Mangelernährung – und hier zeigt sich auch, inwiefern Begleiterscheinungen des Alterns Effekte chronisch-entzündlicher Darmerkrankungen aggravieren können. So beschleunigen beispielsweise die häufig eingesetzten Steroide den ohnehin laufenden Muskelabbau.2

Bezüglich des Immunsystems sei im hohen Alter immer zu bedenken, dass die Risikofaktoren für eine schwere Infektion unter einer TNF-alpha-Antikörpertherapie ab dem 60. Lebensjahr exponentiell gesteigert sind, weiter gilt die Kombination mehrerer Therapien – insbesondere mit Steroiden (>7,5 mg Glukokortikoid) als risikobehaftet.3 Ab dem 8. Erkrankungsjahr sollte mit der Krebsvorsorge begonnen und je nach Risikoeinstufung unbedingt die Überwachungsintervalle des Dickdarms entsprechend der aktuellen Leitlinie eingehalten werden.4

Auch müssen im Kontext dieser Patient*innen weitere Faktoren beachtet werden, merkt Dr. Eisele an:

  • Ein altersbedingt durchschnittlich höheres Auftreten von Komorbiditäten wie z.B. Herz-Kreislauferkrankungen, neurologische Erkrankungen oder Nierenfunktionsstörungen
  • Die Einnahme von Begleitmedikation mit möglichem Interaktionspotenzial (z. B. NSAR, ACE-Hemmer, Diuretika, Harnsäurehemmer, Antidepressiva, Hypnotika etc.)#
  • Ein erhöhtes Risiko für einen schweren COVID-19-Verlauf

Somit gewinnt interdisziplinäres Arbeiten mit steigendem Alter der Patient*innen noch weiter an Wichtigkeit. 

Glücklicherweise spricht laut Dr. Eisele trotz begrenzter Daten alles dafür, dass bei den etablierten Therapien keine bis nur geringe Effektivitätsunterschiede im Vergleich zum Einsatz bei jüngeren Patient*innen bestehen. Die Sicherheitsprofile sollten jedoch bei allen Therapien genau geprüft und Zulassungsbeschränkungen beachtet werden. Häufig seien milde, aber gut handhabbare Infektionen zu erwarten.

Er fasst zusammen: Es gebe bei älteren Patient*innen einige zusätzliche Faktoren zu beachten, wichtig sei aber immer, bei Therapie und Diagnostik Nutzen und Risiken gegeneinander abzuwiegen und auch andere Diagnosen als Colitis Ulcerosa oder Morbus Crohn – oder zusätzlich zu einer dieser Hauptdiagnosen – in Betracht zu ziehen.

Prof. Dr. med. Timo Rath ergänzt das Thema Diagnostik um spannende Eindrücke, die das Potenzial innovativer Methoden wie Endozytoskopie und Endomikroskopie hervorheben. So zeigte Professor Rath im Rahmen des bundesweiten Workshops exemplarische Endozytoskopie-Aufnahmen, in denen die 520-fache Vergrößerung zuließ, Anzeichen für eine Krankheitsaktivität zu erkennen, die in den Endoskopie-Bildern selbiger Patientin nicht ansatzweise ersichtlich waren. Die histologische Abheilung könne mithilfe der modernen Techniken zuverlässig und ohne Notwendigkeit physischer Biopsien erfasst und der weitere Krankheitsverlauf besser prognostiziert werden, so seine Zusammenfassung.

Und auch Simone Breiteneicher fügt hinzu: „Wichtig ist bei all diesen zusätzlichen Faktoren, dass wir trotz der zusätzlichen Komplexität auch alte Patient*innen offen empfangen und behandeln.“ In den regionalen Workshops wurde dementsprechend gesammelt, wie ältere Patient*innen im Rahmen der endoskopischen Untersuchung bestmöglich unterstützt werden können. Die Teilnehmenden nannten hier beispielsweise eine Begleitung bis zur Untersuchungsliege, das Anbieten von Lagerungshilfen und Decken sowie ein genauer Blick auf die Vitalparameter.

Aus ihrer Zeit im Rettungsdienst bringt Simone Breiteneicher weitere, wertvolle Erkenntnisse aus dem Umgang mit älteren Patient*innen mit und leitet konkrete Tipps ab:

  • Genau beobachten: Verhält sich die Person auffällig, gibt es neurologische oder dermatologische Auffälligkeiten, eventuell auch in Abweichung zu vorherigen Terminen? Falls ja, sollten die Beobachtungen mit dem*der behandelnden Arzt*Ärztin besprochen werden.
  • Hinterfragen, ob das Gegenüber das Gesagte gut versteht – akustisch und bezüglich der gewählten Formulierungen.
    Tipp: Befunde und Therapievorschläge ggf. vereinfacht und verständlich wiederholen.
    • Ältere Patient*innen äußern sich seltener als junge, berufstätige und finden sich schneller ab. Deshalb hier unbedingt Perspektiven für Verbesserungen aufzuzeigen!
    • Besondere Bedürfnisse älterer Patient*innen reflektieren und besprechen, z. B.
      • Hilfsmittel wie Medikamentenbox empfehlen
      • Ernährung und Mobilität/Aktivität thematisieren
      • Alternative Dosierung recherchieren und auf weitere Medikamente abstimmen, damit es nicht zu viel wird und der Einnahmerhythmus passt.
        CAVE: Kleinste Veränderungen können zu großen Verunsicherungen führen und die Adhärenz beeinflussen!
      • Zusätzliche Termine (wenn möglich auch als Telefontermin) anbieten, z. B. zu späteren Zeit, falls Begleiterkrankungen wie Gelenkschmerzen ein frühes Erscheinen schwierig gestalten.
      • Medikamentenwechselwirkung im Auge behalten und diesbezüglich in Abstimmung mit weiteren Behandler*innen treten.

Sie resümiert: Gerade in dieser Altersgruppe gelte „Wenn Sie Vertrauen aufbauen können, ist die Einflussnahme deutlich verbessert“.

  1. Gisbert, Chaparro. Systematic review with meta-analysis: Inflammatory bowel disease in the elderly. Aliment Pharmacol Ther. 2014;39:459–77.
  2. Subramaniam et al. Aliment Pharmacol Ther. 2015; 41: 419–428.
  3. Toruner et al. Gastroenterology. 2008; 134: 929–936.
  4. Kucharzik et al. Aktualisierte S3-Leitlinie Colitis... Z Gastroenterol. 2020; 58: 241–326.
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